Schluss mit A4!
Herr Grumser, Compart genießt weltweit den Ruf als innovativer Marktführer sowie als Entwickler professioneller und richtungsweisender Lösungen im Bereich des Dokumentenmanagements. Sind Sie stolz darauf, wie sich Ihr Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt hat?
Ich wäre ein Narr, wäre ich nicht auch stolz auf das was wir erreicht haben. Dennoch betrachte ich natürlich mehr, was es noch zu tun gibt. Und damit meine ich nicht Compart als Unternehmen, da gibt es auch noch genügend zu tun, sondern unsere Branche insgesamt. Der Umgang mit Dokumenten steckt eigentlich immer noch in den Kinderschuhen, weil wir nach wie vor in Papier denken und den Schritt in eine digitale Welt nicht wirklich vollziehen wollen. Kundenkommunikation findet immer mehr in Web-Anwendungen statt und nahezu alle Unternehmen bauen eine Parallelwelt auf, ohne zu merken, dass klassisches Dokumentenverarbeitung und eine web-basierte hohe Überdeckung haben.
Alle Welt redet im Moment von Industrie 4.0, der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der „Old Economy“. Inwiefern wird die Dokumentenverarbeitung davon betroffen sein?
Die Erfindung des Internets hat meines Erachtens höhere politische und soziologische Auswirkungen als die Erfindung des modernen Buchdrucks vor über 550 Jahren. Industrie 4.0 ist ein starkes Schlagwort, das zum Ausdruck bringen möchte, dass wir in der Fertigung vor einem neuen Zeitalter stehen. Das ist aber auch nur ein ineinander verzahnter Teil von Veränderungen, die das Internet uns noch bescheren wird oder schon gebracht hat. Parallel entwickeln sich das Internet der Dinge, Wearables und völlig neue mobile Anwendungen.
Der Mensch hat das Problem, recht linear zu denken und so glauben wir, dass die neuen Herausforderungen der nächsten zehn Jahre auch nicht mehr sein werden, als das was wir in den letzten zehn Jahre gemeistert haben. Das halte ich für einen fatalen Irrtum. Auch auf unsere Branche bezogen, stehen wir vor großen Veränderungen, weil Geschäftsprozesse nicht mehr nur papiergebunden sein können, wir aber immer noch so tun als seien PDF-Anhänge in E-Mails das Nirvana moderner Kundenkommunikation.
Thema Secure Mail: Der rechtssichere digitale Postverkehr à la De-Mail, IncaMail & Co. wird kontrovers diskutiert. De-Mail leidet nach wie vor an Akzeptanzproblemen trotz De-Mail-Pflicht für deutsche Behörden. Wie sehen Sie die Zukunft der elektronischen Substitution?
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es eine Zukunft ohne gesicherte elektronische Kommunikation nicht geben wird. Wir müssen aber sehen, dass wir dennoch täglich Millionen von rein elektronischen Transaktionen abschließen, sei es die Bestellung einer Konzertkarte, der Abschluss einer Kfz-Versicherung oder die Buchung einer Ferienreise. Immer dann, wenn ein Bezahlvorgang im Spiel ist, scheint es keiner weiteren elektronischen Identität zu bedürfen. Wir werden diese Systeme weiterhin unterstützen, auch wenn das Tempo der Einführung mehr als enttäuschend ist.
Compart selbst arbeitet beim digitalen Versand von vertraulichen Dokumenten eng mit der Schweizerischen Post zusammen. Welche Vorteile sehen Sie gerade bei IncaMail gegenüber den anderen Diensten?
Letztendlich geht es um den Kompromiss zwischen Sicherheit und Komfort. De-Mail oder E-Postbrief sind sehr sicher, ich habe aber ein weiteres E-Mail-Konto und muss mich einmalig persönlich ausweisen. Darauf verzichtet IncaMail, und bietet dennoch ein hohes Maß an Sicherheit. Ich werde mit IncaMail voraussichtlich nie an einer elektronischen Bundestagswahl teilnehmen können, die kommt aber auch nicht so oft vor, wie meine monatliche Gehaltsabrechnung, bei der ich mit etwas weniger Sicherheit gute auskomme.
Auf dem letzten Comparting sprachen Sie davon, dass die Trennung von Daten und Layout unumgänglich und HTML5 das Format der Zukunft sei. Ziel einer modernen Kommunikation sei aber, so eine Ihrer Thesen, der Austausch von Rohdaten. Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Oder anders gefragt: Woran hapert es diesbezüglich in den meisten Unternehmen?
In vielen Unternehmen entstehen neue Web-Anwendungen, mit zum Teil sehr innovativen Teams, die viel von Web-Design und modernen Service-Architekturen verstehen. Der Kunde würde sich zwar schon noch ein PDF-Dokument am Ende wünschen, weil man da so schön zwei Löcher reinmachen und das dann im Wohnzimmerschrank ablegen kann, ein Ausdruck aus dem Browser tut‘s aber auch. Solange das nur wenige Anwendungen sind, merkt auch keiner, dass die Textbausteine von der Rechtsabteilung jetzt mehrmals gepflegt werden und ein Teil der Datenbeschaffung auch schon längst in einer anderen Abteilung gelöst wurden.
Ob ein Kunde einen Geschäftsvorfall direkt im Web erledigen möchte und mir als Unternehmen ein hohes Maß an Transaktionskosten einspart oder ob der Kunde den langen Weg asynchroner Kommunikation per Papier hin und her vorzieht, kann nicht in zwei völlig unterschiedlichen IT-Systemen enden.
Input- und Output-Management sowie Web-Anwendungen müssen also in eine Gesamtarchitektur gebracht werden – das ist eine der Herausforderungen moderner Dokumentenverarbeitung. Worauf kommt es dabei an? Wo liegen die Risiken?
Ganze Wirtschaftszweige haben Ihre Prozesse im Internet automatisiert, alle anderen müssen folgen. Wenn ich nun aber noch lange alternativ eine HTML-Eingabemaske, ein interaktives PDF-Formular und ein Papierformular zum Ausfüllen für denselben Geschäftsprozess anbiete, muss die Erstellung dieser Anwendungen und Dokumente vereinheitlicht werden. Das bedeutet aber in den meisten Unternehmen eine Neuausrichtung der Verantwortlichkeiten: Input- und Output-Management müssen ihre Kompetenzen der Dokumentenverarbeitung in die Web-Entwicklung einbringen oder gar zu einer organisatorischen Einheit werden. Und das Malen von Layouts muss aufhören, weil die Darstellung sowohl auf einem Arbeitsplatz im Büro mit großem Bildschirm als auch auf einem mobilen Gerät mit 4-Zoll-Bildschirm funktionieren muss.
Bleiben wir noch kurz bei responsivem Design, der seiten- und geräteunabhängigen Darstellung und Ausgabe von Dokumenten: Welche Rolle spielt HTML5 künftig? Welche Auswirkungen hat dieses Format Ihrer Meinung nach auf die Dokumentenverarbeitung?
AFP ist das Format der letzten Meile zum Drucken, PDF wird das Format der letzten Meile zum Archivieren werden. HTML5 bietet alles weitere um Inhalte geräteunabhängig darzustellen und es ist vergleichsweise einfach in AFP oder PDF zu wandeln. Der Weg umgekehrt ist dagegen sehr aufwändig. HTML5 ist nicht einfach nur der Nachfolger von HTML4, es ist Grundlage völlig neuer Anwendungen im Web bis hin zu Web-Apps also Anwendungen, die sowohl als Apps als auch nur im Browser laufen. HTML ist aber nicht nur die Grundlage responsiver Anwendungen, sondern auch responsiver Geschäftsdokumente, die sich bei der Darstellung an die Größe des Bildschirms anpassen. Die Erstellung von Dokumenten muss sich damit von A4 lösen, was ein komplettes Umdenken in unserer Branche erfordert und uns noch viele Jahre beschäftigen wird.
Trotz der Digitalisierung bricht das physische Dokumentenaufkommen nicht so drastisch ein wie vermutet. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Wie lange bleibt uns das gedruckte Dokument in seiner jetzigen Form noch erhalten?
Diese Aussage ist für Deutschland richtig, für die skandinavischen Länder etwa wäre sie nicht korrekt. Aber auch in Deutschland sinkt das transaktionale Volumen, wird aber durch eine starke Wirtschaft und höheres Mailing-Volumen kompensiert. Papier wird nie ganz verschwinden und es wird in einigen Bereichen, nachdem der Farbdruck wirtschaftlich immer interessanter wird, als Prämiumprodukt die elektronische Kommunikation sogar wieder ablösen. Der Trend nach unten wird sich aber dauerhaft fortsetzen, das Tempo vorherzusagen wäre aber sehr gewagt.
Welche Auswirkung hat diese Entwicklung für die Druckdienstleister?
Man kann auch in konsolidierenden Märkten sehr erfolgreich sein, der Größenvorteil in der Produktion alleine ist aber kein Garant hierfür. Ich glaube, dass neue Geschäftsfelder entstehen, weil große Unternehmen Teile der Kundenkommunikation noch mehr auslagern werden. Kompagnien, die Papier und Web intelligent verbinden, pfiffige Mailing-Produkte mit hoher Personalisierung oder Massengeschäfte wie Zählerablesungen könnten hierfür gute Kandidaten sein. Es werden meines Erachtens also nicht zwangsweise die Großen, sondern die kreativen weiterhin erfolgreich bleiben.
Qualitätssicherung im Produktionsdruck: Welche Verfahren eignen sich für welche Unternehmen? Was ist dabei zu beachten?
Wir unterscheiden im Wesentlichen regressions- und regelbasierte Qualitätssicherung. Regressionsverfahren stellten sicher, dass sich der Dokumenteninhalt und Seitenumfang nach einer Software-Umstellung nicht verändern, wobei etwa eine bessere Silbentrennung dann durchaus gewünscht ist, wenn sich dadurch kein Portosprung ergibt. Das wird vor allem in der klassischen Batch-Verarbeitung benötigt. Die regelbasierte Qualitätssicherung kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Dokumente dezentral, z.B. durch Office-Anwendungen erstellt werden, und sichergestellt werden muss, dass die Adresse korrekt ist und richtig sitzt und bestimmte produktionstechnische Notwendigkeiten oder Layout-Vorgaben eingehalten werden müssen.
Qualitätssicherung sollte ein selbstverständlicher Prozessschritt in einer Produktion sein, der nicht nur am Anfang oder Ende stattfinden darf.